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Auf Frieden hoffen

Die Ukrainerin Olena kam vor sechs Monaten, am 1. März 2022, mit ihren zwei Kleinkindern und ihrer Schwiegermutter nach Hamburg. Einige Wochen lebten sie bei ihrer Schwester und ihrem Schwager, jetzt in einer WGW-Wohnung. Uns haben sie erzählt, was sie erlebt haben und wie sie sich fühlen.

Ein Mädchen und ein Junge krabbeln munter auf der Puzzlematte im Wohnzimmer. Die Zweijährige sitzt auf Omas Schoß, lauscht müde ihrer Mutter mit Tante und Onkel. Kaffee
steht auf dem Tisch, etwas Süßes. Wie es scheint, ein normaler Familiensonntag. Nur: Für diese Familie ist das nicht so. Das, was sie unter „normal“ verstehen, endete am 24. Februar im westlichen Randgebiet von Kiew.

In dieser Nacht sind Olena, ihr Mann und ihre beiden Kinder von Explosionen aus dem Schlaf gerissen worden. „Wir hätten nie gedacht, dass Russland wirklich angreift“, sagt die 34-Jährige. Dann fielen in der Nähe Bomben und für das Paar war klar: „Wir müssen die Kinder in Sicherheit bringen.“ Innerhalb einer Stunde saßen die Vier im Auto. Mit dem Hauskater und dem Nötigsten im Gepäck machten sie sich auf zu seiner Mutter Vira, danach Richtung Polen. Eigentlich ist die Strecke in drei Stunden zu schaffen. An diesem Tag kamen sie erst nach acht Stunden an und so sollte sich ihr Fluchtweg fortsetzen. „Die Straßen waren voll“, erzählt Olena. „Bis zur Grenze haben wir drei Tage gebraucht.“ Mit einem fünfmonatigem Baby und einem zweijährigen Kind auf dem Rücksitz und der ständigen Angst, beschossen zu werden.

Drei Tage, die auch ihre Schwester Tetiana Braitkraits und Schwager Peter Jordan viel Kraft gekostet haben. Das ständige Warten auf eine Nachricht von Olena und ihren Lieben. Das Hoffen und Bangen, dass ihnen nichts passiert. „Es war schlimm“, sagt die 37-Jährige. Erst als die Familie bei ihnen in Hamburg ankam, löste sich die Nervosität. Ganz ist sie jedoch nie verschwunden. Denn Olenas Mann musste wie viele andere ihnen nahestehende Menschen in der Ukraine bleiben.

Olena war in der Ukraine Teamleiterin einer Logistik-Abteilung. Jetzt lernt die studierte Buchhalterin und Wirtschaftsprüferin mit Nachdruck Deutsch, um sich schnell eine Arbeit suchen zu können. Ihre Töchter vermissen den Papa sehr. Vor allem ihre Große, die früher täglich mit ihm gespielt hat. Seit dem Krieg läuft sie mit Mamas Handy weg, wenn er anruft, damit sie ihn mal ein paar Minuten für sich allein hat. Trotzdem sprechen sie von Glück. Schließlich konnten sie bei der Familie unterkommen.

Ohne groß darüber zu reden, spendeten Nachbarn, Freunde und Bekannte sofort Spielzeug, Kleidung, Windeln. Und dann wurde auch noch eine Zwei-Zimmer-Wohnung der WGW frei, nur wenige Hauseingänge entfernt. Da sich bei den Mitgliedern keine Interessenten fanden, hatte Kirsten Leisner aus dem Mieterservice eine Idee. Sie kannte die Geschichte und half den Ukrainern. Nach kurzer interner Abstimmung, konnte die Familie in ihr neues Heim einziehen. Für diese Chance sind sie sehr dankbar. Wie es weitergeht? Mal sehen. „Wir alle leben für den nächsten Tag und versuchen für die Kinder stark zu sein“, sagt Olena, „einen Plan B gibt es nicht. Wir werden erst aufatmen, wenn in der Ukraine wieder Frieden herrscht.“

Familie als Ruhepol: Olena (li.) mit ihrer Schwiegermutter und den Kindern. Ihre Schwester und
ihr Schwager haben den Vieren zum Start einen Unterschlupf in ihrer Wohnung gegeben. Foto: Hermann Jansen