Aktuelles
Aufgewachsen im Tante-Emma-Laden

Stephanstraße 118: Mit diesem Haus verbinden Mitglieder aus Wandsbek Kindheitserinnerungen. Besonders Renate Christiansen. Denn an ihrem zehnten Geburtstag eröffneten ihre Mutter und ihr Stiefvater 1950 einen kleinen Laden.

Kleiner Laden – das ist beileibe keine romantische Verniedlichung. „Der Anbau hatte nur zwölf Quadratmeter“, beschreibt Renate Christiansen. „Vorn ein Tresen, dahinter Regale und ein Durchbruch zum Wohnzimmer.“ Mehr brauchte es nicht. Zwei Jahre nach der Währungsreform gab es ausreichend Waren und Lebensmittel, aber nicht in dieser Vielfalt wie heute. Marga und Max Bruhns hatten zudem ihr Angebot ab 1950 zunächst auf Süßwaren und frisch gemahlenen Kaffee begrenzt. Feinkost, die man sich nicht in rauen
Mengen leistete. „Viele Leute hatten wenig Geld“, erinnert Renate Christiansen. „Deshalb kauften sie oft nur 20 Gramm Kaffee und es wurde streng darauf geachtet, dass ja kein Gramm in der Mühle bleibt.“

Erst nach und nach erweiterte das Paar sein Sortiment. Brot, Eier, Zucker, Gurken aus dem Fass, Senf aus dem Eimer, Waschmittelpäckchen, Bier, Konserven, die gute Butter: Egal, was die Nachbarn aus dem Anemonenweg, der Pillauer Straße oder der Stephanstraße brauchten, bei „Frau Bruhns“ und „Onkel Max“ bekamen sie es bestimmt. Manchmal allerdings später als erwartet. Renate Christiansen muss schmunzeln, wenn sie daran denkt als das erste Mal Reklame für „Lux“ über die Fernseher flimmerte. „Am nächsten Tag stand die halbe Nachbarschaft bei uns im Laden und hat sich gewundert, dass wir die Seife nicht haben.“ Es war eben alles etwas anders damals. Nicht so hochautomatisiert und technisiert, dafür sehr persönlich. Bei den Bruhns konnte man anschreiben lassen, und wenn nach Geschäftsschluss noch jemand etwas brauchte, wurde einfach geklingelt. „Das war offiziell nicht erlaubt“, räumt die 81-Jährige ein. „Aber es war eben wie auf dem Dorf.“ Dazu gehörten selbstverständlich auch die Pausen der Müllfahrer in unserer Gartenlaube und die täglichen Besuche der Nachbarskinder nach Schulschluss. „Sie kamen gerne zu uns, haben im Garten gespielt, und ab und zu gab es ein Eis oder eine Brause.“

Renate Christiansen half schon früh im Laden mit und das mit großem Vergnügen. Verkäuferin wollte sie eigentlich werden, auf Wunsch ihrer Mutter besuchte sie aber die Handelsschule.

1963 heiratete sie, zog zunächst mit ihrem Mann Axel in den Eydtkuhnenweg. Anfang der 1970er Jahre erhielt die inzwischen fünfköpfige Familie schließlich ein Häuschen in der Tilsiter Straße – keine fünf Minuten Fußweg entfernt vom buchstäblich kleinen Laden an der Ecke. Als ihre Mutter 1979 starb, übernahm Renate Christiansen zunächst das Geschäft.

Zwei Jahre später, nach dem Tod ihres Stiefvaters, entschloss sie sich jedoch, zu schließen – und gab zugleich ihr Geburtshaus auf. Kein leichter Entschluss, aber sie hat es nicht bereut. Schließlich hatte sie längst ein neues Zuhause in der Gartenstadt gefunden und das zählte. Denn: „Wenn man einmal hier gelebt hat“, sagt Renate Christiansen, „will man nicht wieder weg!“

Fotos: Hermann Jansen (1), Archiv Renate Christiansen (8)